Medizin-Geschichten

Die Heilpflanze des Monats Juni 2015
Kurioses, Bizarres, Interessantes

Folge 38: Beifuß (Artemisia vulgaris)

Artemis war bekanntlich die griechische Göttin der Jagd, der wilden Tiere und des Waldes. Aber sie war auch die Göttin der Geburt, der Frauenheilkunde, die Beschützerin der Jungfrauen und die Hüterin von Frauen und Kindern. Nach ihr benannt ist eine ganze Gattung von Pflanzen, fast alle traditionelle Medizin- oder Räucherpflanzen: Artemisia. Eine Artemisia-Art war der Göttin sogar geweiht: ein ganz gewöhnliches, aber potentes Kraut: der Beifuß, eine für die alten Griechen wichtige Heilpflanze, vor allem für Frauen, bei uns heute bekannt als Gewürz, aber auch schlicht als Unkraut. 

Nicht nur die Griechen verehrten den Beifuß. Weltweit – in Europa, ganz Asien und Nordamerika – galten die Pflanzen aus der Gattung Artemisia als Helfer der Menschen. Überall wurde ihnen große Bedeutung in Heilkunde, Ernährung und Ritualen zugeschrieben. Außer dem Beifuß gehören dazu etwa der Wermut (Artemis absinthium), die Eberraute, auch Pastorenkraut  genannt, (Artemisia abrotanum) oder der Estragon (Artemisia dracunculus).

Am wichtigsten war aber wohl der Beifuß.  „Wer Beifuß im Haus hat, dem kann der Teufel nichts anhaben“, lautet ein alter Spruch aus unserer Region. Buddhistische Novizen bekamen bei Initiationsriten mit zigarettenartig gerollten glimmenden Artemisia-Blättern sieben Brandmale auf den Hinterkopf als Zeichen ihrer Einweihung. Ein Artemisia-Blatt zierte als Architektur-Element in China häufig Fenster und Türen – als Zeichen, dass hier ein Eingeweihter wohnte. In der chinesischen Medizin werden Beifuß-Röllchen zur  Moxibustion angezündet. Beifuß ist sogar eines der wenigen Heilkräuter der Inuit.

Eine besondere Bedeutung hatte Beifuß auch für die Germanen und die Kelten. Ihnen galt er als eines der potentesten Zauber-und Heilkräuter überhaupt. Die Germanen nannten das Kraut „Mugwurz“, also Machtwurz. Ein anderer Name war Thorwurz. Denn der Donnergott trug einen Gürtel aus Beifuß, den Zaubergürtel Megingjarder, der seine Kraft verdoppeln konnte. Bei den Sonnwendfeiern der Germanen wurde das imitiert: Nackte Tänzer banden sich Gürtel aus Beifuß um. Später wurden diese Sonnwendgürtel verbrannt und mit ihnen alle Leiden und Krankheiten vernichtet.

Beifuß hatte bei Germanen und Kelten geradezu eine göttliche Natur. Mit ihm sollten wahre Heilzauber vollbracht werden können. Im Kindbett bekamen Gebärende ein Sträußchen Beifuß in die Hand, um den Neugeborenen den Weg in die Welt zu erleichtern.

Die Kelten glaubten, dass glühende Kohlen an den Wurzeln des Beifuß‘ zu finden sind. Danach gruben Druiden in der Mittsommernacht, denn um den Hals gehängt schützten die Kohlen gegen allerlei Krankheiten. Doch diese magischen Kohlen waren sehr sehr schwer zu finden, oft waren sie nämlich bewacht von einem Zauberhund mit tellergroßen, glühenden Augen.

Dann kam das Christentum, und der Glaube an den Beifuß wurde zunächst bekämpft und als heidnische Hexerei verteufelt. Doch die Menschen konnten nicht davon lassen. Und auch die heftigsten Streiter für den christlichen Glauben mussten zugeben, dass die Heilpflanze wirksam war. Dann wurde umgedeutet und die Kraft des Krauts als von Gott gegeben interpretiert. Artemisia sollte nun vor Teufel, Hexen und Bienen schützen, gegen Impotenz helfen und, um die Füße gebunden, vor Ermüdung, Hunde- und Schlangenbissen bewahren. Wichtig war, dass Beifuß im Zeichen Marias ausgegraben wurde. Dann konnten die Wurzel sogar verhexte Milch und Eier entzaubern. Beifußwurzeln wurden auch ans Haus genagelt als Schutz vor Feuer und bösen Geistern.

Bei den Germanen hieß es, wenn Beifuß um die Zeit der Sonnwende geerntet wird, ist er am mächtigsten. Am Sonnwendtag wurden damals potente Medizinpflanzen für die Hausapotheke gesammelt. Die christliche Kirche hat auch diesen alten Bauch übernommen und umgedeutet: Die Pflanzen wurden nun am Johannistag, dem 24. Juni, geerntet als „Johanniskräuter“. Die Johannissträuße wurden nun zu Ehren der Gottesmutter gebunden. Später, etwa an Maria Himmelfahrt am 15. August, wurden sie geweiht und gesegnet. Eines der wichtigsten dieser Johanniskräuter war und ist der Beifuß. Viele andere Johanniskräuter werden auch heute noch als Heilpflanzen genutzt, zum Beispiel Kamille, Königskerze, Quendel, Ringelblume und natürlich das Johanniskraut.

Doch zurück zu Artemis‘ Pflanzen. Alle Artemisia-Arten haben einen herbwürzigen Geruch und einen bitteren Geschmack. Besonders bitter ist ein Verwandter des Beifuß`: der Wermut. Er galt deshalb als Sinnbild des Leids, der Traurigkeit, des Schmerzes und des Todes – man spricht noch heute vom „Wermutstropfen“, der Positives trübt.

Der Wermut hat in der Zeit der Romantik eine neue Karriere begonnen: als „Grüne Fee“, also als Absinth. Man verbindet diesen Kräuterlikör sofort mit der Pariser Bohème. Doch erfunden wurde er in der Schweiz, von Marcelin Pernod. Absinth ist heute wieder ein schickes Getränk. Die Artemisia-Pflanzen haben also noch immer ihren Platz in unserer Kultur…

Quellen:
u.a. Gerhard Madaus: „Bioheilmittel“ und verschiedene Internetseiten

Ursula Armstrong | Redaktion | Sperberweg 2 | D-82152 Krailling | Telefon: +49 (0) 163 / 313 21 10 | e-mail: mail@uschi-armstrong.de | www.redaktion-armstrong.de
Beifuss

Beifuß – heute eher gefürchtet, als verehrt. Einmal als Unkraut, vor allem in Hackfrucht-Kulturen wie Kartoffeln oder Rüben. Und dann sind seine Pollen, die vor allem im Sommer in der Luft sind, ein starkes Allergen. Medizinisch wird Beifuß gerne bei Verdauungsbeschwerden und Appetitlosigkeit eingesetzt. Belegt ist die Wirkung allerdings nicht. Beliebt ist das bittere Kraut vor allem als Gewürz zu fettem Essen wie Gans.

Foto: Armstrong

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